MAK NITE Lab

Digitale Superposition

Die Datei als Objekt.<br>Ein Abend zum Thema Kunstwerk, Status und Wert im digitalen Zeitalter kuratiert von Valentin Ruhry

Demonstration
Harm van den Dorpel
 
Präsentation
3 Minuten, 4 Personen, 5 Slides
 
Paneldiskussion
Harm van den Dorpel (Berlin), Künstler harmvandendorpel.com 
Trent McConaghy (Berlin), Forscher für künstliche Intelligenz, Gründer von Ascribe trent.st
Jakob Braeuer (Berlin), Bauschke Braeuer, Rechtsanwalt für Kunstrecht
Max Tertinegg (Graz), Gründer von Coinfinity
Valentin Ruhry (Wien), Künstler und Mitgründer von Cointemporary.com
Marlies Wirth, Kuratorin, MAK 

Sprache: Englisch

„Superposition“ (aus dem Lateinischen super = über; positio = Lage, Setzung, Stellung), ein Begriff aus der Physik zur Beschreibung der Überlagerung gleicher physikalischer Größen, kann im Sinne von „Überörtlichkeit“ übersetzt werden und beschreibt damit den Ausgangspunkt des Dilemmas der Datei als Objekt: Welcher Ort könnte eher als „überörtlich“ bezeichnet werden als das Internet, die „Cloud“ als immaterieller Utopieort, an dem alle Daten zusammenfließen, der imaginäre Speicher unseres digitalen Lebens.
 
Mit dem Entwurf des Musée imaginaire (1947) proklamierte André Malraux die Überörtlichkeit der Bilder im kollektiven kulturellen Gedächtnis der Menschheit und gibt Anstoß zur Hinterfragung der Rolle von Bild und Repräsentation und den damit verbundenen Veränderungen und Übertragungen ihrer Bedeutung. Während Kunstwerke außerhalb der Museen nur durch aufwendige Reisen und ein gutes Gedächtnis miteinander vergleichbar waren, eröffneten die Möglichkeiten der technischen Reproduktion von Werken einen neuen, potentiell vollständigeren Zugang zur Kunst – im imaginären Museum. Aus heutiger Sicht ist Malraux‘ Entwurf nicht unverwandt mit Plattformen wie Google Art Project, Artsy, tumblr, Pinterest oder ArtStack, die online einen unmittelbaren Zugang zu real existierenden Werken als digitale Kunstsammlung ermöglichen.
 
Der von Walter Benjamin in Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1935) formulierte Verlust der Aura des Kunstwerks durch seine technische Wiedergabe scheint in der gegenwärtigen – digitalen – Kunstproduktion aufgehoben: Längst haben wir uns an diesen Verlust gewöhnt und sind ein tiefgehendes Verhältnis mit dem digitalen Abbild eingegangen, bei dem das Original beinahe vernachlässigt werden kann. Durch die Möglichkeit der massenhaften Reproduktion von Bildern und die damit verbundene veränderte Darstellung der Wirklichkeit kommt es zu einer veränderten kollektiven Wahrnehmung: Selbst wenn ein Bild oder ein Objekt zu einer Quelle, einem Ursprung zurückverfolgt werden kann, lässt sich seine Substanz (sowohl materiell als auch im Sinne seiner Bedeutung) von keiner seiner Kopien unterscheiden (vgl. Artie Vierkant: The Image Object Post-Internet, 2010).
 
Der wesentliche Erfolg des Internets, das unser Leben und unsere Gesellschaft so stark verändert hat, beruht – stark abstrahiert – auf der Möglichkeit Daten in hoher Geschwindigkeit auszutauschen, wobei vor allem die zunehmende Beschleunigung (Bandbreite) dieses Austauschs die Entwicklungen und Möglichkeiten im Netz vorantreibt. Während in den 1990er Jahren noch langsam und mit relativ hohem Aufwand Zeichen übertragen wurden, ist es heute bereits selbstverständlich, hochauflösende Filme zu streamen oder Back-ups in der Cloud zu erstellen. Die „Datei“ wird zu einem wichtigen Gut und „Daten“ zu einer wertvollen Ressource.
 
In der aktuellen Ausgabe von DIS Magazine, „The Data Issue“ (Februar 2015), diskutieren sechs Künstler, Autoren und Entrepreneurs an der Schnittstelle von Kunstmarkt und Technikindustrie über Monegraph, eine Plattform, die 2014 von Anil Dash und Kevin McCoy ins Leben gerufen wurde und versucht, das Potenzial der Blockchain (die Matrix der Internetwährung Bitcoin) im Dienst der digitalen Kunstproduktion auszuloten.
 
Anders als bei Abbildungen mit physikalischen Bildträgern – sei es im Original oder als „Kopie“ (Druck, Fotografie) – ist das digitale Kunstwerk nicht per se „materialisiert“ und entzieht sich damit sprichwörtlich seiner „Begreifbarkeit“ – und womöglich seiner Besitzbarkeit. Wie lassen sich Status und Wert digitaler Bilder (Binärcodes mit Abbildhaftigkeit) definieren, die sich in Sekundenschnelle im globalen Netzwerk verbreiten und unendlich vervielfältigbar sind? Was, wenn es sich bei digitalen Werken um Originale handelt? Um Daten, die man anstelle ihres (materialisierten) Abbilds erwerben und besitzen kann? Die Information ist im Speicher des Netzwerks eingeschrieben und die Besitzverhältnisse können mit neuen Technologien, die über dezentrale Zahlungssysteme wie Bitcoin operieren, unfälschbar nachvollzogen werden.
Die Idee des „kollektiven Speichers“ wird damit relevanter denn je: Die Datei als Objekt, Daten als Metapher.
 
Beim MAK NITE Lab entsteht im Rahmen einer Demonstration live vor Ort ein digitales Kunstwerk des niederländischen Künstlers Harm van den Dorpel, das im Anschluss auf der von den Künstlern Valentin Ruhry und Andy Boot gegründeten Plattform Cointemporary.com für Bitcoin zum Verkauf angeboten wird. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde diskutieren Harm van den Dorpel (Künstler), Trent McConaghy (Forscher für künstliche Intelligenz, Gründer von Ascribe), Jakob Braeuer (Rechtsanwalt für Kunstrecht) und Max Tertinegg (Gründer von Coinfinity) mit Valentin Ruhry (Künstler und Mitgründer von Cointemporary.com) und Marlies Wirth (Kuratorin MAK) den Status quo und mögliche Szenarien für die Zukunft digitaler Kunstproduktion in der Blockchain.