21.11.2012—23.6.2013
MAK – Museum für angewandte Kunst
Neupräsentation der MAK-Schausammlung

Mit der sukzessiven Erneuerung der seit 1993 unveränderten permanenten Schausammlung des MAK werden drei inhaltlich sowie gestalterisch neu konzipierte Schausäle eröffnet. Sie sind der Entwicklung des Wiener Kunstgewerbes zwischen 1890 und 1938 gewidmet und sollen das MAK und seine Sammlung als internationales Kompetenzzentrum der Wiener Moderne positionieren. Diese Schaustellung ist als „work in progress“ konzipiert. In einer ersten von Michael Embacher gestalteten Phase wird das von Christian Witt-Dörring in Zusammenarbeit mit den KustodInnen des MAK erarbeitete inhaltliche Gesamtkonzept anhand ausgewählter, bisher kaum der Öffentlichkeit bekannter Objekte vorgestellt.

Die Eröffnung der neuen, permanenten MAK-Schausammlung Wien 1900 fand am 17. September 2013 statt.

Auf der Suche nach einem modernen Stil
Die Suche nach einem modernen österreichischen Stil brachte in den Jahren 1890 bis 1900 die Überwindung des Historismus mit sich. Die in diesem Saal ausgestellten Objekte sind großteils zeitgenössische Erwerbungen ausländischer Produkte, insbesondere aus Großbritannien, Holland, Frankreich und Deutschland, wo Reformschritte bereits erfolgreich umgesetzt worden waren, sowie Beispiele von ebenfalls als mustergültig empfundenen Arbeiten japanischen Kunstgewerbes. Sie sollten die vom Museum als vorbildlich angesehene Linie insbesondere in den über die gesamte Monarchie verbreiteten kunstindustriellen Unterrichtsanstalten bekannt machen. Ergebnisse der Vorbildfunktion sind in Einzelbeispielen von Schülerarbeiten dieser Fachschulen vertreten.
Die von den Gründungsmitgliedern der Secession propagierte und aus England übernommene Idee der Einheit der Künste, die dem künstlerisch gestalteten Alltagsgegenstand Kunststatus zubilligt, ist unter anderem mit Arbeiten Josef Hoffmanns, Koloman Mosers und Joseph Maria Olbrichs präsent.

Bereits 1899 hatte Otto Wagner seine für die Entwicklung der Wiener Moderne richtungsweisende Forderung nach einem Funktionsstil aufgestellt, hier nachvollziehbar gemacht durch das erste „moderne“ Wiener Möbel, einen 1899 für seine eigene Wohnung entworfenen Geschirrschrank. Wagner steht auch für den in kürzester Zeit eingeschlagenen eigenständigen Wiener Weg in die Moderne. Anfänglich noch von vor allem aus Belgien und Frankreich übernommenen kurvilinearen Formen bestimmt, die einen bewussten Rückbezug  auf die Zeit Ludwigs XV. darstellen, besinnt sich Wien ab 1900 seiner eigenen nationalen Wurzeln und findet über die heimische Tradition des damals fälschlich als erster „bürgerlicher“ Stil identifizierten Biedermeier zur geometrisch abstrakten Form. Mosers Buffet Der reiche Fischzug von 1900 markiert diesen formalen Richtungswechsel.

Abschließend kommt der in Opposition zum Gesamtkunstwerksgedanken der Secession stehende alternative Weg Adolf Loos’ in die Moderne anhand einer Sitzecke aus dem Herrenzimmer der Wohnung Gustav Turnowsky zur Sprache. Christian Witt-Dörring

Der Wiener Stil
Im krassen Gegensatz zu Loos’ kultureller Moderne steht die formal-stilistische Moderne der Secession und somit der Kunstgewerbeschule und der Wiener Werkstätte; ihnen ist dieser Saal gewidmet. Für Loos ist die Frage der Moderne eine Einstellungssache und nicht von der Entwicklung eines von KünstlerInnen vorgegebenen modernen Stils abhängig. Die Vorstellung, Kunst und Funktion in einem Gebrauchsgegenstand zu vereinen, ist für ihn ein Akt der Kulturlosigkeit. Einzig Otto Wagner billigt er die Fähigkeit zu, Funktion künstlerisch umzusetzen, da er den künstlerischen Ausdruck nicht über die handwerkliche Tradition stellt. Damit reagiert er auf die von den Secessionisten übernommene Überzeugung des englischen Arts and Crafts Movement, dass Schönheit, vermittelt durch den künstlerischen Entwurf, den menschlichen Alltag verbessern könne.
Die in diesem Saal ausgestellten Objekte sind das Ergebnis der von den Secessionisten seit 1897 angestrengten Bemühungen, einen eigenen österreichischen Stil, der in Wahrheit ein Wiener Stil ist, zu schaffen. Er basiert auf Mosers japanisch beeinflusster Flächenkunst, dem klassizistischen Erbe des Biedermeier und der heimischen Volkskunst. Der neue Stil, der zum ersten Mal auf der 8. Ausstellung der Secession im Jahr 1900 dem Publikum vorgestellt wurde, erlebte durch Hoffmanns und Mosers Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule seine künstlerische Verbreitung und die Umsetzung durch deren Schüler. Diese markante stilistische Zäsur bildet den Anfang des Zeitrahmens dieses Saales, der mit dem Ersten Weltkrieg endet.

Die ausgestellten Objekte sind fast ausschließlich handwerklichen Ursprungs und basieren auf dem Mäzenatentum eines finanzstarken, zum großen Teil jüdischen Großbürgertums, aus dem sich die Klientel der Wiener Werkstätte rekrutierte. Während dieser etwas mehr als zehnjährigen Phase durchläuft das Wiener Kunstgewerbe eine abwechslungsreiche formal-ästhetische Entwicklung. Sie reicht von den frühen provokant geometrisch-abstrakten Formen der Wiener Werkstätte über die ab 1906/07 einsetzende, von klassizistischen Elementen und einer raffinierten vegetabilen Ornamentkultur beherrschten Formensprache bis zu den rokokoaffinen, distinkt atektonischen Kreationen Dagobert Peches. Nachdem der anfängliche Kampf gegen den Historismus gewonnen war, ist es Peche, der das ursprüngliche Credo der Gründergeneration der Secession von der Einheit der Künste wieder in Frage stellt und die Überwindung der „Utilität“ fordert. Seine Schöpfungen sind in erster Linie künstlerischer Ausdruck, und erst in zweiter Linie dienen sie einer Funktion. Damit nähern sie sich wiederum der strikten Loos’schen Forderung nach einer Trennung von Kunst und Funktion an. Neben Peche wächst ab 1910 eine neue, wie er an der Technischen Hochschule Wien ausgebildete Generation an Architekten heran (Josef Frank, Oskar Wlach und Oskar Strnad), die sich den seit 1900 veränderten gesellschaftlichen Erfordernissen stellen und unter anderem dem Konzept des Gesamtkunstwerks äußerst kritisch gegenüber stehen.
Christian Witt-Dörring

Vom Wiener Stil zum Internationalen Stil
Der dritte und letzte Saal unterscheidet sich von den beiden vorhergehenden nicht nur durch ein späteres Entstehungsdatum seiner Ausstellungsobjekte, sondern vor allem durch eine viel heterogenere Geschmacksvielfalt. Damit wird gleichzeitig ein im Gegensatz zu heute selbstverständliches, für die österreichische Zwischenkriegszeit jedoch neues Charakteristikum angesprochen. Geschmackliche Heterogenität kann entstehen, wenn eine demokratische Einstellung, die individuelle Bedürfnisse anerkennt, Akzeptanz findet und eine uneinheitliche Käuferschicht vom Markt zu bedienen ist. Die enormen gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg stellen in diesem Zusammenhang eine neue Herausforderung für die Moderne dar.
Einerseits entstehen neue Repräsentationsformen, und andererseits werden auch spezifische Lösungsansätze für Gesellschaftsschichten, die bisher kaum von der kreativen Welt wahrgenommen wurden, angeboten. Sie nützen die Möglichkeiten einer standardisierten industriellen Produktion, eines Bereichs, der erst in den 1890er Jahren im Rahmen eines Kunstgewerbemuseums als sammlungswürdig zur Kenntnis genommen wurde. Insofern spiegelt die Sammlung des MAK auch eine Situation wider, die der Realität der österreichischen Produktkultur der Zwischenkriegszeit entspricht.
Seit der Gründung der Wiener Secession und der darauf folgenden Loos’schen Gegenreaktion wächst eine neue Generation von EntwerferInnen heran, die die alten Repräsentationsformen in Frage stellen und die Formenwelt der internationalen Moderne vertreten. Zugleich bleibt in Österreich – im Gegensatz zu Deutschland, das bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Möglichkeiten der industriellen Produktion formal-ästhetisch positiv gegenübersteht und sich deren sozialer Marktrealität stellt – die von den Secessionisten begeistert aufgenommene Arts-and-Crafts-Tradition der exklusiven handwerklichen Fertigung lebendig. Stellvertretend dafür stehen die handwerklich aufwendig gefertigten Objekte, die aus Anlass der 1934 vom damaligen Museum für Kunst und Industrie veranstalteten Ausstellung Das befreite Handwerk angekauft wurden.
Die von den Secessionisten vertretene Einheit der Künste, die dem Gebrauchsgegenstand den Status eines Kunstwerks verleiht, hatte jedoch ausgedient. Das dadurch erreichte Qualitätsbewusstsein in Zusammenhang mit Loos’ kulturkritischen Ideen aber trug Früchte, die eine spezifische Wiener Lösung auf dem Weg vom Wiener Stil zum Internationalen Stil aufzeigen. Sie findet in Josef Franks Aussage: „Stahlrohr ist kein Material, sondern eine Weltanschauung“, ihre markante Charakterisierung.

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1938 in Österreich hat, wie dies totalitären Regimen eigen ist, die Nivellierung der Individualität zur Folge und bedeutet das Ende einer eigenständigen Wiener Formensprache.
Christian Witt-Dörring


Wien 1900 / Stufe 1: 21.11.2012–23.06.2013
Der inhaltlich-kuratorische Zugang
Die inhaltliche Aufarbeitung dieses Sammlungsbestands geht von  der Tatsache aus, dass in Wien um 1900, wie in der restlichen westlichen  Welt, die individuellen Bedürfnisse der modernen Menschheit  einen adäquaten formalen Ausdruck suchen. Die Entwicklung dieser  formal-ästhetischen Identitätsfindung wird, um Ursache und Wirkung  besser verständlich zu machen, in den größeren Zeitrahmen von 1890  bis 1938 gestellt. Den Schausälen sind daher drei Themenbereiche  zugeordnet. Sie erzählen eine Geschichte von der Suche nach dem  modernen Stil über das Entstehen eines eigenen Wiener Stils bis zur  Konfrontation des Wiener Stils mit dem Internationalen Stil und enden  mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich. Diese  hatte, wie es totalitären Regimen eigentümlich ist, die Nivellierung  der Individualität zur Folge und bedeutete somit das vorläufige Ende  einer eigenständigen Wiener Formensprache. 

Kurator Christian Witt-Dörring
Gestaltung Embacher Wien


DARÜBER HINAUS

kuratiert von Pae White
Mi, 21.11.2012–So, 23.06.2013

Analog zur Neupräsentation eröffnet ein Projekt von Pae White. Für DARÜBER HINAUS hat White Papierarbeiten und Objekte aus der MAK-Sammlung ausgewählt, deren Künstler grundsätzlich unbekannt sind.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht der umfassende Bestand japanischer Färberschablonen (Katagami) des MAK, weitgehend unbekannter Papierarbeiten, die mehrere Generationen von europäischen Künstlern und Designern in ihren Entwürfen für Textilien, Tapeten und Buchillustrationen beeinflusst haben.
Pae White beschreibt DARÜBER HINAUS als Versuch, einige dieser Werke aus den Depots zu holen und in den Galerien zum Glänzen zu bringen.

Gastkuratorin Pae White
 

Ausstellung DARÜBER HINAUS



Pae White
ORLLEGRO


In ihrer Arbeit entwickelt die in Los Angeles lebende Künstlerin Pae White neue Synergien zwischen bildender und angewandter Kunst, Architektur und Design. Im Rahmen ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung in Österreich plant White eigens für das Museum eine raumgreifende Tapisserie aus Metallfäden sowie eine Serie von Skulpturen und Objekten. Als Inspirationsquelle dient die Schausammlung Wien 1900, wobei White in ihrer Präsentation die Bedeutung von angewandter Kunst für ein zeitgenössisches Publikum neu auslotet.

Kuratorin Bärbel Vischer, Kustodin
MAK-Sammlung Gegenwartskunst

 



MAK/ZINE

Zur Ausstellung erscheint das MAK/ZINE #2 2012, herausgegeben  von Christoph Thun-Hohenstein, mit Texten von Philipp Blom, Paul  Foss, Christopher Hailey, Frank Hartmann, Owen Hatherley, William M.  Johnston, Christoph Thun-Hohenstein, Johannes Wieninger, Christian  Witt-Dörring, u. a., deutsch/englisch, ca. 120 Seiten, MAK/Volltext  Wien 2012. Erhältlich im MAK Design Shop um € 9,90.   
 

 



Ein Teil der ausgestellten Objekte fließt in das EU-Projekt

Partage Plus – Digitising and Enabling Art Nouveau for Europeana

ein:

Im Mittelpunkt dieses zweijährigen EU-Projekts steht die Bearbeitung und Digitalisierung ausgewählter Jugendstilobjekte, mit dem Ziel diese über Europeana, einer multimedialen Open Access-Datenbank zur Sammlung und Bereitstellung Europäischen Kulturguts, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das MAK, als eine von insgesamt 23 teilnehmenden Institutionen aus ganz Europa, erhält damit die Möglichkeit seine wertvollen und umfangreichen Bestände aus dieser Schaffensperiode – insbesondere Werke von Künstlern der Wiener Werkstätte und der Secession wie Josef Hoffmann, Koloman Moser oder Gustav Klimt – öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Insgesamt 4600 Objekte aus den MAK-Sammlungen, darunter Exponate der aktuellen Ausstellungen „Ein Schuss Rhythmus und Farbe“ sowie „Wien 1900“, werden im Rahmen des Projekts wissenschaftlich bearbeitet und digitalisiert und bis Anfang 2014 online gestellt.

(Partage Plus wird finanziert durch das EU-Programm zur Unterstützung der Politik für Informations- und Kommunikationstechnologien / Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation)
 
www.partage-plus.eu
www.europeana.eu